„Manchmal genügt es doch, nach dem Surfen einfach da zu sitzen, auf die Wellen zu blicken und an nichts zu denken. …“ Ich muss Christine Recht geben. Nicht immer müssen und sollen wir alles interpretieren. Die Welt SEIN zu lassen und in ihr zu leben erscheint einem angesichts der gewaltigen Naturkulisse entlang der Surfstrände Portugals völlig klar – und ist für den Alltag doch eine maßgebliche Weisheit.
„Wellen sind über das Meer reisende Energie. Sie reisen oft Hunderte oder gar Tausende Kilometer weit, um an einem bestimmten Ort und Zeitpunkt auf den Strand zu treffen. Das ist unser Moment als Surfer.“
Marco, unser Surflehrer aus dem MellowMove Surfcamp nahe des berühmten Surfer-Hot-Spot Ericeira, spricht mit Ruhe und Leidenschaft in der Stimme. Ich lausche ihm fasziniert. Wir sitzen im „Wellentheorie-Kurs“ am zweiten Tag unseres insgesamt drei Tage währenden Surfkurses an der Westküste Portugals. Im Ansatz spüre ich bereits den Muskelkater des ersten Tages Surfen am Praia Azul. „Orbitalwalzen“, „Weißwasser-Wellen“ & „Nosedive“ sind nur einige Wörter der neuen Sprache, die ich hier lerne – und tagtäglich am eigenen Körper erfahre. Ächz.! Wer also nach dem Surfen „einfach bloß am Strand hockt“ und in die Wellen blickt, der macht es richtig. Zu philosophieren beginnen dann wir Reiseblogger: Die Überwältigung dessen, was hier beim Surfen eigentlich passiert, drückt sich in folgenden Lebensweisheiten aus, die ich hier mit Euch teilen möchte.
1. Mit der Zeit beginnt man, Unnötiges weg zu lassen.
Wie Schuhe. Oder Handtaschen. Von Make-up oder Schmuck ganz zu schweigen. Es kommt der Moment, da gibt es nur mehr Dich, Dein salzverklebtes feuchtes Haar, Deinen wachen Blick, Deine prickelnden Fußsohlen, Dein leichtes Keuchen, die Kraft & Anstrengung beim Heben der Oberarme und des überdimensionierten Surfbrettes. Gut zwei Meter ist es lang und somit riesig für kleine Menschen wie mich, aber dank der speziellen Beschichtung eigentlich auch sehr leicht.
Es ist ein schönes Gefühl, Surfen zu lernen. Der Fokus wird klar, es gibt nur mehr die Konzentration auf das Wesentliche – die Wellen – und trotz all der Erstlings-Aufregung wird man innerlich … ruhig.
2. „With a little help from my friends“: Sozialer Zuspruch ist Balsam für die Seele.
Beim Surfen wie im Leben benötigst Du einen Mentor. Du brauchst jemanden, dem Du vertrauen kannst. Der im richtigen Moment das Richtige zu Dir sagt. Der Dich weiterbringt, der Dich stützt, der an Dich glaubt und Dir Kraft gibt (weiter zu machen). Marco und Gery sind solche Menschen. Meine Surflehrer in dieser kurzen Zeit im MellowMove Surfcamp. Sie und ihre KollegInnen sind Menschen, die hier in Portugal ihren Traum leben – als Österreicher! Ein weiteres, sehr witziges Detail unseres Surfcamp in Portugal ist die Tatsache, uns als Österreicher von Österreichern das Surfen beibringen zu lassen. 😀 Doch Spaß beiseite: Etwas völlig Neues in der Muttersprache zu erlernen, hat uns die Surf-Erfahrung bestimmt auch erleichtert.
3. Wenn Du das Gefühl hast fest zu stecken, bist Du gefordert es zu ändern.
Tag zwei. Der Muskelkater überholt meine Kräfte. Ich habe das Gefühl, einfach nichts zu schaffen. Weder gegen die Wellen anzukommen, noch (geschweige denn) auf ihnen zu surfen. Was habe ich gemacht? Ich bin einfach wieder aus dem Wasser gegangen und habe im wahrsten Sinne des Wortes „tief Luft geholt“. Das klingt jetzt rückblickend leicht & logisch gesagt, ist aber mit dem Ehrgeiz den wir alle besitzen, mitunter schwierig zu vereinbaren. „Es muss doch gehen„, sagen wir uns und kämpfen weiter an. Dabei reicht es einfach, aus einer Strömung in die nächste zu wechseln – und schon ist alles leichter. Im wahrsten Sinne des Wortes. Surfen macht die Gedanken klar und reinigt die Seele.
4. Es gilt den richtigen Moment abzuwarten. Und notfalls zu improvisieren!
Der richtige Moment kommt. Jawohl! „Das ist die perfekte Welle, das ist der perfekte Tag, lass Dich einfach von ihr treiben, denk‘ am besten gar nicht nach …“ habe ich noch den Song der Band Juli im Ohr. Ist der Moment da, gilt es beim Surfen wie im Leben bereit dafür zu sein. Woran aber erkennt man die perfekte Welle, sprich den perfekten Moment im Leben?
Ich denke, die „perfekte Welle“ stimmt sich mit Dir ab. Sie ist ein Spiegelbild Deiner Erwartungen und Erfahrungen just in diesem einen, bestimmten Moment. Bereitschaft für sie zu zeigen, bedeutet Dich selbst zuzulassen: Am Ende zählt nur, wie Du die Welle erlebst. Denn kein anderes Kriterium kann und wird für Dich in Deinem persönlichen (Er)Leben je Gültigkeit besitzen.
5. Vergleiche scheuen. Denn ja, sie machen unglücklich.
Die alte, uralte Weisheit. Und wie sie stimmt – auch oder vielleicht gerade beim Surfen! Dabei ist es so wichtig, sich an folgendes zu erinnern:
Es wird immer jemanden geben, der besser, schneller, höher, weiter, schöner oder intelligenter sein wird als Du. Was zählt, bist einzig und allein DU! Es ist Dein Beitrag an die Umwelt, Deine Liebe zu den Mitmenschen, Dein Lachen, Dein Glück für diese Welt das zählt. Denn nichts anderes kannst Du je wirklich ändern oder beeinflussen.
Drum sei Du selbst und lebe! Aber scheue Dich vor Vergleichen! („Ich bin so schlecht. Die anderen Jungs in meiner Anfängergruppe sind viel besser drauf als ich und stehen schon auf ihren Surfboards. …“.) Die anderen Jungs sehe ich vielleicht nie wieder. Aber ich, für mich, bin eigentlich stolz auf mich. So muss es sein: Hoch lebe das Surfen! Und die philosophischen Gedanken, die wir daraus gewinnen. 😉
6. Lob, Leuchten & körpereigene Glücksgefühle zelebrieren. Sie sind die Energie für die Welle von morgen!
Das ist so wichtig, liebe Leser. Ich hoffe, auch Ihr spürt das. Wenn Freude den Körper überschwemmt und Glück bis ins Gehirn tanzt. „Jaaa … geschafft! Ich bin aufgestanden … auf der Welle, also. Zum ersten Mal in meinem Leben ist mir das gelungen!“ Stolz und Lächeln breiten sich aus, die Euphorie lässt grüßen. Plötzlich ist das Wasser nicht mehr so kalt, die Surf-Wellen nicht mehr so anstrengend, die Freude für die anderen Surfschüler ehrlich gefühlt. Es ist so wichtig im Leben, dass wir die Freude des Gelingens feiern. Ganz egal, in welcher Lebenssituation und Lage: Gönnt Euch die Freude des Moments!
7. Sich niemals zu gut sein. Notfalls einen Schritt zurück gehen!
Der zweite Tag im Surfkurs ist meine Krux. Irgendwie schaffe ich es doch nicht so wie die anderen, „schon aufzustehen“ und meine ersten Weißwasser-Wellen zu surfen .. Was mache ich bloß falsch?! So schlecht bin ich doch gar nicht? Tja, meine Lieben. „Schlimmer geht’s immer“, ist leider auch so ein Spruch der Wahres besitzt. Wenn gar nichts geht, muss man eben wieder raus aus der vermeintlichen Sicherheit und zurück an den Strand, den Punkt Null sozusagen. Die Trockenübungen wiederholen. Den Fehler erkennen. Und dazu passt Punkt 8 …
8. Lachen. Hilft. Am besten über sich selbst, und mit anderen.
Ach, die Sache mit dem Humor. Humor ist die natürlichste Bindung zwischen zwei Menschen, zwei Kulturen, zwei Sichtweisen. Wer dank Mitgefühl, Achtsamkeit und emotionaler Intelligenz eine gemeinsame Verständigungsebene schafft, hat meiner Meinung nach schon alles begriffen. Das mit dem Lachen folgt dann auf natürliche Art und Weise und macht einfach nur mehr Spaß!
9. Perfektion dauert. Am Biss ist es gelegen.
Die Sache mit der Geduld. Unserem Drang zur Perfektion. „Wenn es nicht gleich geht, bin ich frustriert und möchte gar nicht weiter machen.“ Meine patzige innere Stimme musste auch ich gelegentlich überhören. Sowie den schreienden Körper, die schmerzenden Muskeln. Surfen ist anstrengend, oh Mann! Wahnsinnig anstrengend. Aber auch so schön und berauschend. !!
„Was Ihr hier seht, sind Jahre des Trainings und der Perfektion! Ihr seid alle erst ganz am Beginn. Und könnt wirklich stolz auf Euch sein!“ So oder so ähnlich hören wir es von unseren Surflehrern im MellowMove Surfcamp beim Anblick der erfahrenen Surfer weiter draußen auf dem Meer. Sie haben recht. Wir blicken dennoch – erst recht verträumt aufs Meer, hinüber zu den Profis … Sie spornen uns an, es wieder und wieder zu probieren.
10. Last but not least, steht eine Neudefinition dessen, was Luxus eigentlich bedeutet.
Seinen Körper spüren. Gut schlafen können. Mit Appetit (und ohne Gedanken an Kalorien) zu essen. Abends Karten spielen. Witze reißen und mit seinen Mitmenschen lachen können. Und morgens die Sonne über dem Meer grüßen …
… soll ich weiter machen? Der Duft von Sonnencreme auf der Haut. Ein Eis essen. Stolz spüren, der als Welle aus dem Körperinneren rollt und sich in einem schönen Lächeln bricht. Eine liebevolle Umarmung, eine zärtliche Geste.
Das MellowMove Surfcamp in Portugal ist eine Erfahrung für Sinne & Seele. Der Lifestyle hier im Camp ist mit nichts zu vergleichen, so gemütlich, „gechillt“ & relaxt geht es hier zu. Bei aller Entspannung steht das Surfen im Fokus: Die Austrian Surf Championships werden hier jedes Jahr im September ausgetragen, Surflehrer Gery ist Meister im Longboard wie er bescheiden lächelnd vermerkt. Ich möchte wirklich wieder kommen, so sehr hat es mir schon in der kurzen Zeit gefallen. Am besten eine ganze Woche, Muskelkater & Wellenkampf zum Trotz. Denn ab dem Punkt, wo man mit und nicht gegen die Wellen schwimmen bzw. surfen lernt, wird alles ganz einfach. Wie im wahren Leben. 😀
3 Kommentare
Hallo Elena,
herzlichen Dank für diesen wunderbaren Beitrag, der mir wieder so vieles vor Augen rückt – zum Beispiel einige der Gründe, die mich immer wieder nach Portugal und an den Atlantik zurück ziehen.
Vermutlich sind dies auch Gründe dafür, dass ich mich dazu entschlossen habe, vor allem über die Menschen in Portugal und an der Algarve, das Land und die Atlantikküste zu schreiben.
Für heute hast Du es geschafft, mich für schöne Momente an den Atlantik zu entführen.
Bis hoffentlich bald,
Alex
Lieber Alex,
Danke Dir für Deine inspirierenden Worte !!! Das freut mich sehr, dass Dich meine Gedanken und Ideen über das Leben (und das Surfen) so erreicht haben. 😀
Schön, dass auch Dich Portugal so fasziniert hat, und danke Dir für Deinen Bericht: Den muss ich mir gleich mal zu Gemüte führen. 😉
Schönen Gruß, Elena!