Die Geschichte, die ich Euch heute erzählen werde, ist anders als all die anderen Geschichten hier auf meinem Welt-Reise-Blog. Es ist eine Geschichte, die direkt aus dem Herzen eines derjenigen Menschen kommt, die gerade eine furchtbare „Reise“ bzw. Realität durchleben müssen: Mein lieber Freund Rakesh Shahi & seine Mitmenschen in Nepal. „Am Tag des 25. April 2015, ein ganz normaler Samstag Morgen, war ich noch im Bett als plötzlich alles zu wackeln begann. Ich dachte noch, es sei ‚bloß ein weiteres, leichtes Erdbeben‘, doch dann wurde das Beben stärker und stärker und wollte einfach nicht mehr aufhören. Mein Zimmer sowie unser gesamtes Haus tanzte vor meinen Augen und alles was ich denken konnte war, ‚DAS IST EIN SCHLECHTER TRAUM, DAS KANN EINFACH NICHT PASSIEREN‘.“
Ich traf Rakesh Shahi von Mystik Mountains Adventures & Holidays während meiner #CreativElenaRTW Weltreise in Nepal, fasziniert von der Gastfreundschaft der Menschen in diesem Land. Heute möchte ich ihn und seine unglaubliche Geschichte zu Wort kommen lassen, in der er uns von seinen berührenden Hilfsaktionen berichtet, welche er und seine Freunde zum Wohle aller Mitmenschen rund um ihn initiiert haben.
Lieber Rakesh, bitte erzähl uns doch: Was ist in den ersten Tagen nach dem verheerenden Erdbeben mit Stärke 7.8 auf der Richterskala in Nepal passiert? Was war Deine unmittelbare Reaktion, und wie haben Deine Freunde & Familie reagiert?
Als das Beben in meinem Heimatviertel in Kathmandu endlich aufgehört hat, konnte ich nur an meinen Vater und an meine Tante denken, die einen Stock unter mir leben (wir wohnen gemeinsam in einem dreigeschossigen Haus). Ich bin sofort hinunter zu meinem Vater, der seit einem Schlaganfall nicht mehr gehen kann, und habe ihn hinausgetragen. Alle fünf Minuten gab es weitere Beben. Rund um mich strömten die Leute aus ihren Häusern, viele weinten und begannen traditionelle Gebete zu rufen, vor allem die Älteren. Das Telefonnetzwerk sowie auch das Internet fielen aus. Gottseidank blieb unser Stadtteil von größeren Einstürzen oder gar Erdbebenopfern verschont. Niemand rund um mich konnte sich erinnern, je ein solches Beben miterlebt zu haben. Wir hatten solche Angst. In den darauffolgenden drei Tagen nach dem ersten großen Beben übernachteten wir draußen, in Zelten, mit einfacher Nahrung um uns zu versorgen. Die Nachrichten, die uns aus weiteren Stadtteilen ereilten, brachen uns das Herz.
Rund um uns konnte ich nach und nach das Ausmaß der Katastrophe erahnen. Sirenen, Hubschrauber, Menschen die schrieen und riefen. Ich dachte nur, fassungslos: ‚Das kann einfach nicht wahr sein, das haben wir nicht verdient.‘
Nachdem sich die Erde während der nächsten Tage einigermaßen beruhigt hatte (und die Kommunikation wieder einigermaßen funktionierte), rief mich ein Freund an um mich und einige weitere Freunde zu bitten, mit ihm in eines der am stärksten betroffensten Gebiete nahe Kathmandu zu fahren um dort Hilfsgüter zu verteilen – nach Sankhu nämlich. Als wir dort ankamen, sah ich dass die Altstadt dem Erdboden glich. Den Anblick der Menschen, die einfach alles verloren hatten – ihre Häuser, ihre Familienmitglieder, ihre Vorräte, einfach alles – werde ich wohl für mein Leben nie wieder vergessen.
Diese Erfahrung war ein Wendepunkt in meinem Leben. Ich dachte mir, ‚Rakesh, Du hast so viel Glück mit Deinem Leben und all Deinen Besitztümern davon gekommen zu sein. Es obliegt Dir, diesen Menschen zu helfen: Wer, wenn nicht Du & Deine Freunde, ist denn noch hier um diesen Menschen in der allergrößten Not, jetzt und unmittelbar, zu helfen?‘
Alle meine Freunde hatten denselben Gedanken. Wir alle wollten einfach unseren Beitrag leisten, jetzt und in diesem Moment. Eine Bewegung entstand. Freunde aus dem Ausland riefen uns an, unterstützen uns. Ganz zu Beginn dachten wir nur daran, einige wenige Orte mit unseren Bemühungen anzusteuern. Doch dann hatten wir plötzlich innerhalb weniger Stunden nahezu zwei Tonnen an Zeltplanen sowie Lebens- und Arzneimittel zusammen getragen und machten uns auf, in zwei weitere, stark betroffene Dörfer zu reisen – Nuwakot und Dhading. Einige von uns trugen alles zusammen, während andere mit der Abwicklung der Spendengelder und Sachgüter beschäftigt waren. Am allermeisten jedoch war uns daran gelegen, dass die Güter die wir sammelten auch wirklich zu den am meisten betroffensten Menschen & Gemeinden am Land in Nepal gelangten.
Wir erachteten es als unsere Aufgabe, ja als unsere Pflicht, als jungen Menschen unserem Land zu helfen, wieder auf die Beine zu gelangen. Dann gaben wir uns einen Namen: ‚Immediate Earthquake Relief for Rural Nepal‘, und gründeten eine Facebook-Gruppe in der wir Nachrichten und Fotos veröffentlichen. Gemeinsam haben wir bis zu 18 Stunden am Tag gearbeitet, um denen in der größten Not rund um uns zu helfen.
In dieser Zeit verspürte ich ein großes Gefühl der Dankbarkeit gegenüber meinen Freunden in Nepal sowie im Ausland, welche uns rund um die Uhr mit Hilfsgütern und Spendengeldern versorgt hatten. Jeder noch so kleine Einsatz zählte. Ohne diese Form der Unterstützung hätten wir gar nichts oder nur sehr wenig erreicht. In meinem Geiste sehe ich das Bild Tausender Hände, die zusammen gekommen sind, um anzupacken. So wuchs auch mein Selbstverständnis, Tag für Tag unermüdlich weiter zu helfen.
Wie ist Eure Jugendgruppe nun tatsächlich organisiert? Welche Art von Hilfsmittel, Kommunikation oder Organisationsform habt Ihr für Euch gewählt, um Euren Einsatz in den betroffenen Gebieten bestmöglich zu garantieren?
Unser Team aus Freiwilligen besteht größtenteils aus Freunden und Freunden von Freunden. Wir haben einen gemeinsamen Stützpunkt, an dem wir unsere Güter zusammentragen und entscheiden, wer wohin damit aufbricht. Noch haben wir keine formale Organisationsform gefunden, da wirklich all unsere Bemühungen dahin gehen, unmittelbar zu helfen. Zum heutigen Tag haben wir bereits über 4000 Zelte und 20 Lastwägen voller Hilfsgüter (Nahrung und Arzneimittel) an bedürftige Landsleute verteilt.
Wir glauben, dass jetzt einfach der Zeitpunkt ist, um Menschen unmittelbar zu helfen. Schon Minuten an Einsatz reichen aus, um Menschenleben zu retten. Darum geht es uns: Um rasche, zielgerichtete Hilfe.
Woher bezieht Ihr Eure Spendengelder, woher die Sachgüter zur Verteilung an die Betroffenen? Wie werdet Ihr das Geld internationaler Spendenaufrufe, wie der „GoFundMe“-Kampagne, weiter verwenden?
Zu diesem Zeitpunkt stammt alles Geld im Einsatz direkt von uns, unseren Freunden und unseren Bekannten die für unsere Kampagne und unseren Einsatz gespendet haben. Wir haben das allermeiste davon in unmittelbare Hilfsgüter wie Zelte & Lebensmittel investiert. Dank der guten Verbindungen unseres Teams konnten wir bestimmte Güter zu besseren Preisen erwerben, beispielsweise aus dem nahe gelegenen Indien. Was die Verteilung angeht, so haben wir stets peinlichst darauf geachtet, dass auch wirklich jedes Mal ein ganzes Team an (mindestens fünf) Leuten in die betroffenen Gebiete reiste, um die tatsächliche Versorgung zu garantieren.
Wie steht Ihr dem Einsatz verschiedenster Regierungsgruppen und NGOs sowie internationalen Hilfsorganisationen gegenüber?
Um ganz ehrlich zu sein, bin ich von den meisten von ihnen sehr enttäuscht. Angesichts all der Tragik und Verzweiflung vieler Menschen geht es doch in den Tagen und Wochen nach so einer Katastrophe in erster Linie darum, unmittelbar Hilfe zu leisten! Stattdessen wurden Meetings abgehalten und Strategiepläne beschlossen, während die Menschen rund um uns in den Straßen verzweifelt um Hilfe rufen. Auf der anderen Seite muss man sagen, dass gerade die Armee sowie die Polizei großartige Rettungsdienste leisteten. Doch was rasche Hilfe angeht, so haben die meisten großen Organisationen in meinen Augen versagt. Mir ist schon klar, dass es weitreichende Pläne und Beschlüsse für den Wiederaufbau geben wird müssen, aber jetzt und unmittelbar sind wir alle gefordert zu helfen – nicht herumzusitzen und Lorbeeren zu verteilen.
Welche Begegnung bzw. Ereignis hat Dich in all der Zeit Deines Einsatzes am meisten inspiriert?
Was mich am meisten inspiriert hat war und ist die Tatsache, dass diese Menschen die einfach alles verloren haben, immer noch das eine oder andere Lächeln abringen können.
Wann auch immer ich in die betroffenen Dörfer Nepals reise, die vom Erdbeben fast vollständig zerstört worden sind, sind es die Menschen die mir wieder und wieder versichern, dass es schon gehen wird. Und das ist ein Teil unserer Seele, denke ich, unseres unverwüstlichen Denkens das Nepal erlaubt Wege zu finden, um auch diese Katastrophe zu meistern.
Dazu kommt, dass das Leben in den ländlichen Gemeinden Nepals schon immer hart war. Dieses Bewusstsein angesichts einer solchen Situation, getragen vom Lächeln in den Gesichtern dieser Menschen, hat mich zutiefst berührt. Wenn es also diese Gemeinden schaffen, nach vorne zu blicken, warum nicht auch wir die wir im Grunde weder unser Leben, unsere Gesundheit, unsere Familie noch unsere Besitztümer verloren haben?
Was hat Dich am meisten schockiert? Und warum?
Es ist nicht so sehr das Erdbeben, oder die Angst davor die mich schockiert haben oder schockieren, nein. Es sind die oftmals herzzerreißenden Anblicke der Menschen und Dörfer, die einfach alles verloren haben. Noch heute fürchte ich mich vor den Momenten, in denen ich in bestimmte Landstriche reisen werde in denen buchstäblich kein Stein auf dem anderen geblieben ist. Alleine der Gedanke daran bricht mir oftmals das Herz.
Wie gehst Du selbst mit dem psychologischen Trauma von „Leben & Tod“ rund um Dich um, mit all den überwältigenden Emotionen und Informationen, wissend dass trotz all Eures Einsatzes einfach so viel mehr getan werden muss?
Ich weiß jetzt einfach (einmal mehr), dass wir über unser bescheidenes Alltagsleben hinaus immer wieder mit Situationen konfrontiert sein werden, die außerhalb unserer Macht stehen. Meine Gedanken in diesen Tagen sind, dass jederzeit alles passieren kann. Es kann einem das Herz brechen, so viele Menschen in Not zu sehen, gewiss. Das beste Mittel dagegen ist jedoch das Lächeln auf dem Gesicht eines jeden einzelnen: Jede Bemühung ist wertvoll. Jeder einzelne Schritt auf dem Weg wichtig.
Wie hat das Erdbeben Deine Heimatstadt Kathmanu verändert, wie Dich selbst? Wo siehst Du die größte Hoffnung für Dich & Dein Volk?
Kathmandu hat leider Gottes ein hohes Maß an beschädigten Bauten und Opfern zu verzeichnen. Wiederum muss ich sagen, dass es mir das Herz bricht daran zu denken, dass historische Stadtteile wie Durbar Square und Sundhara einfach dem Erdboden gleich gemacht sind. Wunden wie diese werden lange brauchen, um zu heilen. Kathmandu kommt mir vor, als ob es wichtige Gliedmaßen verloren hätte und sich nun an eine Situation im Rollstuhl gewöhnen wird müssen.
Trotz all der Trümmer ist Nepal, und insbesondere die Stadt Kathmandu, als Volk im Geiste zusammengewachsen.
Angesichts dieser natürlichen Katastrophe haben wir Menschen einmal mehr begriffen, dass wir zusammenhalten müssen. Selbst Menschen, deren Umstände oder Beruf ich stets mit bestimmten negativen Vorurteilen behaftet hatte, sind gekommen um zu helfen. Das Beben hat uns Einigkeit gebracht. Nepal wird früher oder später den Weg einer friedvollen Entwicklung finden: Einmal mehr hat mir die Kraft so zu denken die Beobachtung der Menschen rund um mich nach dieser verheerenden Naturkatastrophe gezeigt.
Zu guter Letzt: Wie geht es für Dich selbst und Dein eigenes Reiseunternehmen ‚Mystik Mountains Adventure & Holidays‘ weiter? Wo siehst Du Dich selbst sowie Deine Bemühungen in nächster Zeit?
Das Erdbeben in Nepal sowie alle darauffolgenden Hilfsleistungen, in denen ich involviert war, haben mir wichtige Botschaften & Perspektiven für mein ganzes Leben eröffnet. Schon jetzt kann ich sagen, dass ich um einiges mehr zielgerichteter und bewusster unterwegs bin, vor allem bei dem Gedanken an die Zukunft. Es ist keine leichte Zeit für uns: Viele Reisende habe ihre Pläne für Nepal verschoben oder storniert. Dies betrifft auch mein Unternehmen, Mystik Mountains Adventure and Holidays.
Das hat natürlich auch Auswirkungen auf viele Berufe hier: Köche, Trekkingführer, Träger, Mitarbeiter in Hotels & Restaurants etc. werden es allesamt schwer haben, während dieser und nächster Zeiten für genügend Auskommen zu sorgen.
Persönlich finde ich, und ich sage dies voller Hoffnung und Zuversicht, dass Nepal nach wie vor eine glorreiche Zeit beschieden ist, denn unser Land ist so wunderbar und voller natürlicher Schönheiten. Entgegen all der internationalen Nachrichten sind die meisten Landesteile nach wie vor gut erreichbar.
Von den insgesamt 75 Regionen in Nepal sind nur acht unmittelbar oder stark vom Erdbeben betroffen. Von 10 Nationalparks ist nur einer betroffen. Von den acht UNESCO Welterbestätten haben nur zwei rund 40% Schäden zu verzeichnen. 90% aller Hotels im Tal von Kathmandu sind sicher und in Betrieb. Alle größeren Straßen sind weiters befahrbar. 100% aller Hotels in beliebten Reisegebieten wie Pokhara, Chitwan, Lumbini, Bardiya, Far West & Annapurna, Everest etc. sind sicher und in vollem Betrieb. Von 35 beliebten Trekking-Routen sind nur zwei ernsthaft betroffen. All internationalen und nationalen Flughäfen haben keinerlei Schäden zu verzeichnen. Die Kommunikation (Telefon, Geldmaschinen, Internet, etc.) funktioniert, Spitäler & Kliniken ebenso – keine Epidemien sind hierzulande verzeichnet oder ausgebrochen.
Somit kann man sagen, dass der beste Weg um Nepal wieder aufzubauen darin besteht, eine Reise nach Nepal zu unternehmen. Wir, das Volk Nepals, ist hier getreu unseres Mottos „Gäste sind Götter“ und werden alles dafür tun, Kraft unseres Einsatzes und unserer Vision den Menschen rund um uns zu helfen und einzigartige Erlebnisse voller Hoffnung und Inspiration zu vermitteln.
Vielen Dank Dir, lieber Rakesh, für die Zeit die Du Dir genommen hast dieses Interview stellvertretend für Dich & Deine Landsleute zu beantworten. Wir können so viel von Euch lernen. DANKE Euch für Eure Stärke & Vision: #StayStrongNepal !!!
Für alle weiteren Meldungen & Neuigkeiten könnt Ihr Euch via folgenden Link informieren: „Immediate Earthquake Relief for Rural Nepal„.