Anfang des Jahres. Mein Mann so, eher beiläufig: „Im Juni hab‘ ich mir übrigens über das lange Wochenende hinaus frei genommen, da möchte ich den Jakobsweg von Wien bis Linz gehen.“ Wenn ich bei diesen Worten eines verspürt habe, dann am ehesten das: Einen leichten Anflug von Wehmut, vielleicht sogar ein bisschen Neid auf sein bevorstehendes Abenteuer. Dies vor allem angesichts der Tatsache, dass ich ja selbst schon das eine oder andere Camino-Abenteuer bestanden habe, sowohl im Norden von Spanien als auch am Jakobsweg in Portugal.
Ich finde es auf jeden Fall toll und unterstützenswert, einander gerade auch als junge Eltern Raum und Freizeit zu geben, eigene Ideen und (Reise)Projekte zu verwirklichen.
Wie bist Du überhaupt auf die Idee gekommen, den Jakobsweg zu gehen?
Im Jahr 2014 hat ein Kollege in der Firmenzeitschrift meines damaligen Arbeitgebers seine Abenteuer auf dem Jakobsweg geschildert. Er startete an der französisch-spanischen Grenze und wanderte vier Wochen lang bis nach Santiago de Compostela. Sein Beitrag war so lebhaft und authentisch geschrieben, dass ich ihm bei nächster Gelegenheit alle möglichen Fragen gestellt habe: Warum bist Du den Jakobsweg gegangen? Welche Ausrüstung hast Du gebraucht? Welche Übernachtungs- und Verpflegungsmöglichkeiten gab es auf dem Weg? Es war ein sehr aufschlussreiches Gespräch und pflanzte die Idee in mir, selbst einmal den Jakobsweg zu gehen. Besonders spannend finde ich die Philosophie, dass der Weg vor der eigenen Haustür beginnen kann. In diesem Sinne beginne auch ich, den Weg von meiner eigenen Haustüre aus zu gehen und nehme nicht den „schnellen“ Weg „nur“ ab der Landesgrenze von Frankreich oder Portugal, sondern direkt von Wien weg. Die ersten Kilometer habe ich geschafft, doch ist es noch ein weiter Weg von Österreich bis Spanien.
Wie hast Du Dich auf dieses Abenteuer vorbereitet?
Zum einen griff ich auf die Erfahrungswerte und Erzählungen meiner Frau zurück: Sie ist den Jakobsweg von Porto bis nach Santiago gegangen. Zum anderen habe ich in verschiedenen Facebook-Gruppen um Tipps gebeten und mir außerdem einen sehr guten Pilgerführer zugelegt. Alles in allem glichen sich die Ratschläge: Achte auf das Gewicht deines Rucksacks, packe Blasenpflaster ein, nimm Sonnenschutz mit, trinke genug – im Grunde genommen alles sehr logischen Dinge. Meine Kondition trainiere ich seit Jahren durch regelmäßiges Joggen und als Meister der Kampfkunst des traditionellen Taekwondo, doch die Ermüdung in den Beinen ist beim stundenlangen Wandern eine andere als beim Laufen, und ein Marathon dauert insgesamt nur wenige Stunden, erstreckt sich nicht über mehrere Tage hintereinander …!
Welche Tages-Etappen schafft man(n) realistisch gesehen auf dem Weg?
Ich denke, es hängt davon ab, was man sich vornimmt. Sieht man das Ganze eher als sportliche Herausforderung an, wird man eine andere Distanz zurücklegen, als nur gemütlich den Pfaden zu folgen und sich einfach treiben zu lassen. Auch spielt die jeweilige Fitness eine Rolle. In meinem Fall bin ich zwar mehrstündiges Laufen gewohnt, doch mehrtägiges Wandern ist noch einmal eine ganz andere, körperliche wie psychische Herausforderung. Dies bedingt meines Erachtens ein ganz anderes, eigenes Training. Alles in allem ist auf dem Jakobsweg zwischen 15 und 30 Kilometer pro Tag alles möglich, es hängt wie gesagt von Motivation und Fitness ab.
Wo hast Du übernachtet? Wie stand es um die Verpflegung entlang des Weges?
Entlang des Jakobsweges gibt es diverse Gasthöfe, Hotels und Pensionen für Pilger. In Siegersdorf bei St. Pölten betreibt ein Paar eine eigene Pilgerhütte auf freiwilliger Basis neben ihrer Vollzeitarbeit. Begonnen haben die Großeltern der Frau mit einem einfachen Wasserbrunnen, an dem sich Pilger erfrischen konnten und dies immer noch tun. So kam es, dass Pilger Rast machten, das eine oder andere Bier mit den Gastgebern tranken, und diese nach Einbruch der Dunkelheit fragten, ob sie denn auch in der halb fertigen Blockhütte nebenan übernachten könnten? Heute ist daraus eine eigens ausgewiesene Pilgerhütte mit Platz für bis zu vier Personen geworden, Familien oder Freunde finden kuschelig gar zu acht Platz. Was Essen, Trinken und die Möglichkeit, Pflaster oder ähnliches zu kaufen angeht, so kommt man an diesem Teil des Jakobsweges durch genügend Ortschaften mit kleinen oder größeren Geschäften, Lokalen und Apotheken. Allerdings sollte man rechtzeitig planen und seine Vorräte aufstocken: Immer wieder durchquere ich winzige Ortschaften, die gerade einmal aus ein paar Häusern und vielleicht einem Bauernhof bestehen, wo es aber sonst keine weitere Infrastruktur gibt.
Stichwort Beschilderung: War es immer leicht, den Weg zu finden?
In der Stadt Wien selbst habe ich keinen einzigen Wegweiser auf den Jakobsweg gesehen. Nur durch Zufall fand ich einen am äußersten Stadtrand in der Nähe des Auhofcenters. Bis Purkersdorf verließ ich mich eher auf die Wegweiser für den Straßenverkehr. Auf dem Weg durch den Wienerwald, nach Ried am Riederberg war der Jakobsweg zunächst sehr gut markiert. Allerdings verloren sich diese Markierungen mit der Zeit im Wald und ich musste querfeldein über eine Wiese zu einer Forststraße marschieren, um wieder auf die markierte Route zu gelangen. Prinzipiell ist der Weg auf Forst- und Schotterstraßen sehr gut ersichtlich, auch in den Ortschaften sind die Wegweiser gut zu erkennen. Schwieriger war es tatsächlich in den Wäldern: Auch im Dunkelsteinerwald verlor ich die Markierungen ein paar Mal, musst gar kehrt machen, um den eigentlichen Weg wieder zu finden. Ich schätze, es ist wie im richtigen Leben: Man muss bisweilen umkehren, um weiterzukommen.
Hast Du andere Pilger getroffen und wenn ja, was haben diese erzählt?
Auf dem Weg nach Göttweig begegnete ich zwei Pilgerfreunden, die mit einem kleinen Kind unterwegs waren. Sie nutzten das lange Wochenende, um von Purkersdorf nach Göttweig zu gehen. Von ihren Familien wurden sie täglich an einem vereinbarten Treffpunkt abgeholt und am nächsten Tag wieder dort abgesetzt, um weiter zu gehen. Bei dieser Begegnung kam mir in den Sinne, wie es sich wohl anfühlen würde, meinen kleinen Sohn einen Teil des Weges in einer Babykraxe zu tragen. Allein die Vorstellung brachte mich ins Schwitzen! Ansonsten jedoch war ich alleine, sowohl bei meinem Marsch über die Felder als auch durch die Wälder. Selbst viele Ortschaften, beispielsweise im Dunkelsteinerwald, wirkten auf mich wie ausgestorben. Zeit alleine zu verbringen, ist mitunter etwas Großartiges, aber nach sechs Tagen wurde es eher frustrierend (Selbstgespräche!?) und in mir wurde das Bedürfnis wach, meine Frau anzurufen und meinen kleinen Sohn zu herzen.
Welches Gepäckstück war wirklich wichtig, und worauf hättest Du verzichten können?
Wichtig für mich war die Trinkblase meines Laufrucksacks. Dadurch konnte ich auch während des Gehens trinken, denn es war zumeist anstrengend und heiß. Kleidungsstücke hätte ich nicht so viele gebraucht, manche habe ich gar nicht angezogen.
Bitte verrate uns ein paar persönliche Gedanken, die Dir auf dem Jakobsweg gekommen sind.
Es sind so einige Gedanken gekommen, und das war es auch, was mir auf dem Jakobsweg wirklich gut getan hat. Im Alltag ist man rasch abgelenkt oder in einer gewissen Routine, sodass manch ein Gedanke gar keinen Weg zum Bewusstsein findet. Ein Gedanke war, dass es in der Welt sehr still sein kann, wenn Nebengeräusche wie Verkehrslärm oder Baustellen viele Kilometer entfernt sind. Diese Stille gibt unglaublich viel Kraft und Raum, beispielsweise um wieder einmal so richtig tief Luft holen zu können.
Worin hat Dich der Österreichische Jakobsweg in Niederösterreich am meisten überrascht?
Vermutlich in der Tatsache, dass er sehr facettenreich ist. Der Jakobsweg führt einerseits an Landstraßen entlang, verläuft aber auch quer durch den Wald, über hügeliges Land und schier endlos wirkende Felder. An einem Tag spenden Bäume angenehmen Schatten, am nächsten Tag ist man wieder der sengenden Sonne ausgesetzt. Auch hat mich überrascht, dass der Pilgerweg nicht unbedingt dem kürzesten Weg zwischen zwei Punkten folgt, sondern sich gerne mal schlängelt, bisweilen in ein kleines Dorf zur Kirche abzweigt, so einige Kilometer Umwege nimmt. Somit ergibt sich eine wesentlich längere Strecke. Das sollte man vor allem bei der Planung der Etappen immer im Hinterkopf behalten.
Wie wird es nun weitergehen: (Wann) Möchtest Du den restlichen Weg bis Santiago de Compostela gehen?
Bis Jahresende möchte ich noch bis Linz gehen und dabei die Gedenkstätte Mauthausen besuchen, da ich dort noch nie war. In den nächsten Jahren möchte ich durch Österreich, die Schweiz, Frankreich und Spanien bis an das westliche Ende Europas gehen, doch ein genauer Zeitrahmen lässt sich aufgrund der vielen Faktoren wie Urlaub, Distanzen, Familie und auch dem genauen Reiseaufwand nicht festlegen. Es gibt auch die Überlegung, manche Etappen mit Frau und Kind zu teilen. Solange ich dem Österreichischen Jakobsweg folge, nehme ich mir vor, ihn jedes Jahr für 10 bis 14 Tage zu gehen.
Vielen Dank für das Interview mein Herz! Auf viele weitere, gemeinsame Abenteuer.
2 Kommentare
Sehr interessant! Da wächst auch bei mir wieder die Lust auf eine (zumindest) mehrtägige Wanderung.
Liebe Grüße,
Flo
… auch bei mir ist die Lust gleich wieder groß !!!
Liebe Grüße zurück,
Elena